Seit eineinhalb Jahren begleitet der BR Pflegekräfte und Mediziner durch die Corona-Pandemie. Die Infektionszahlen sind aktuell niedrig, aber Personalmangel und Sparkurs belasten die Mitarbeiter. Sie warnen: Das gehe auch zu Lasten der Patienten.
Silke ist eine erfahrene Pflegefachkraft, seit mehr als 20 Jahren ist sie in diesem Beruf tätig. Sie liebe es immer noch, Krankenschwester zu sein, meint die Mittelfränkin, es sei ein schöner Beruf – aber nicht unter diesen Bedingungen. Silke (deren richtiger Name eigentlich anders lautet) schildert, dass sie weder fachlich noch ethisch so arbeiten könne, wie sie es gelernt hat und vor sich selbst verantworten kann: “Ich bin jeden Tag völlig ausgepowert und überlege: Wie soll ich die nächsten Tage überstehen. Ich habe keine Lust mehr, irgendetwas in meiner Freizeit zu tun, bin völlig fertig. Und ich sehe nicht, dass eine Verbesserung kommt. Und von daher möchte ich ganz aus dem Beruf aussteigen.”
Der Bayerische Rundfunk hat eine Umfrage unter 54 Pflegekräften und Medizinern durchgeführt. Sie ist nicht repräsentativ, aber sie zeichnet ein klares Bild: Lediglich drei Befragte erklären, mit ihren aktuellen Arbeitsbedingungen zufrieden zu sein. 22 geben an, ihren Beruf aufgegeben oder den Arbeitgeber gewechselt zu haben – oder zu überlegen, dies zu tun; darunter sind auch mehrere Mediziner. Jeder Fünfte gibt Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen oder Schlafstörungen an; viele sind in Therapie.
Die Überlastung des Krankenhauspersonals hat – neben Corona – offenbar auch einen wirtschaftlichen Grund: In der Umfrage des BR führen 46 der Pflegekräfte und Mediziner Befragten ihre Arbeitsbedingungen darauf zurück, dass ihr Krankenhaus an Personal spart. Viele berichten, dass ihr Krankenhaus den Sparkurs mit teils pandemiebedingten Defiziten rechtfertigt und nun wieder mehr planbare Operationen durchführt.
Laut Bayerischer Krankenhausgesellschaft (BKG) schreibt inzwischen mindestens jedes zweite Krankenhaus im Freistaat rote Zahlen. Auf Anfrage bestätigt die BKG, die Beanspruchung der Beschäftigten in den Kliniken habe nicht selten die Belastungsgrenze erreicht und sei sogar darüber hinausgegangen.
Schon in der Pandemie-Hochzeit wurden etwa ärztliche Stellen gestrichen. Das belegt auch eine Befragung des Verbands der leitenden Krankenhausärzte (VLK). Demnach gaben im vergangenen März 37 Prozent der Teilnehmer an, dass sie freiwerdende ärztliche Stellen trotz Bedarfs nicht nachbesetzen könnten. Unter Krankenhäusern privater Träger waren es 60 Prozent, obwohl diese geringere finanzielle Sorgen angaben.
Für besonders sensible Bereiche im Krankenhaus hat der Gesetzgeber Personaluntergrenzen festgeschrieben. Sie gelten etwa für Frühchen- oder Intensivstationen. 34 der Befragten arbeiten in Bereichen, in denen Personaluntergrenzen gelten – nur zwei geben an, dass diese eingehalten werden. 26 sagen, dass sie immer unterschritten werden, weitere sechs, dass man sie nicht regelmäßig einhalten kann.
Haben Krankenhäuser nicht genug Personal, müssen sie Betten sperren. Aber das, so schildert es unter anderem Pflegefachkraft Silke aus Mittelfranken, geschieht in ihrem Haus nur sehr selten: “Wenn ich nicht genug Personal habe, die Patienten umfassend und adäquat zu versorgen, dann müssten natürlich Betten gesperrt werden. Leere Betten bringen kein Geld, also muss jedes Bett belegt werden. Das ist die Order.”
Die Arbeitsbedingungen treffen bereits jetzt die Patienten, warnen die Pflegekräfte und Mediziner in der BR-Umfrage: 46 von 54 befragten Pflegekräften und Medizinern geben an, dass ihre Arbeitsbedingungen Patienten gefährden. 30 von 54 sagen, dass Patienten zu Schaden gekommen sind, 14 weitere können das nicht ausschließen.
Im Zuge der Recherchen berichten mehrere Ex-Mitarbeiter eines Krankenhauses im Raum Nürnberg übereinstimmend von Unterbesetzung und fehlender fachlicher Qualifikation auf der Intensivstation. Dort sollen mehrere Menschen zu Schaden gekommen und in der Folge gestorben sein. Das Krankenhaus schreibt dem BR, alle Pflegenden auf der Intensivstation seien für diese Aufgabe qualifiziert, konkrete Vorfälle seien nicht bekannt. Bei der Staatsanwaltschaft sind inzwischen anonyme Strafanzeigen eingegangen.